Auf dieser Seite werde ich versuchen dem Phänomen Selbstportrait auf die Spur zu kommen...

...ob es gelingt?


Helena: "Und wenn ich ganz genau hin schaue, dann bin das auf einigen Fotos so viel mehr ich als irgendwas, was "hübsch" ist..."

Das Selbstportrait

Kapitel aus dem eine Aufsatz von Elisabeth Bronzen - aus dem Vorwort zum Buch "Frauen sehen Frauen"


Jede der in diesem Band enthaltenen Photographien dokumentiert nicht nur die tatsächliche Anwesenheit des abgebildeten Modells, sondern immer auch die Einstellung, Haltung und den Blick der Photographin. So gesehen ist jede dieser Photographien in dem Sinne ein Selbstportrait, als sie das einmalige Produkt einer ganz bestimmten Person ist. Umgekehrt gilt aber auch, dass Bilder, von denen wir wissen, hier sind Photographin und Modell identisch, nicht notwendigerweise einen authentischeren Selbstausdruck darstellen als andere Arbeiten derselben Künstlerin. Im Selbstportrait sehen wir nämlich nie die Photographin, die abbildet, sondern immer nur ihre Abbildung. So ist dem Selbstportrait ein prägnanter Widerspruch inhärent. Die Photographin entwirft sich als Erzeugerin von Bildern und verleiht damit sich selbst, ihrem Blick und ihrer Kunst Autorität. Betrachtet man Selbstportraits aus den 20er und frühen 30er Jahren, fällt auf, wie häufig die Spaltung thematisiert ist, die sich zwischen der abbildenden und der abgebildeten Photographin ergibt. So bezieht Lotte Jacobi beispielsweise den Selbstauslöser in ihr Selbstportrait mit ein, als wäre er die Nabelschnur, die sie als Erzeugerin des Bildes mit ihrem Selbstbild verbindet. Außerdem ist ihr Abbild im Bild ein mehrfach dupliziertes. Sie hat das eigene Spiegelbild und nicht ihren realen Körper aufgenommen, der sich in der Linse der Kamera nochmals widerspiegelt. Daß das abgebildete Spiegelbild scharf, die Spiegelung ihres Körpers in der Linse der Kamera - weil durch die Spiegelungen doppelt gebrochen - aber verwackelt erscheint, läßt vermuten, daß Lotte Jacobi den Vorgang des Selbstportraitierens kommentieren wollte. Man hat den Eindruck, daß die reale Gestalt der Photographin in diesem Selbstportrait zum Fluchtpunkt ihrer Abbilder wird. Sie scheint sich jedem konkreten Zugriff zu entziehen und ist dabei doch »Auslöserin« der doppelt widergespiegelten Abbildung ihrer Person, und zwar in der Rolle derjenigen, die ein Selbstbild gestaltet. Auch Germaine Krull thematisiert die Spaltung, die sich zwischen Photographin und erzeugtem Selbstbild ergibt, jedoch nicht als Geste der Vervielfältigung, sondern als Geste des Verdeckens. Ihre Kamera verstellt uns den Blick auf ihr Gesicht, als wolle sie darauf hinweisen, daß die Sehweise das Zentrale an ihrer Kunst als Photographin ist, nicht die reale Frau hinter der Kamera. Diese verschwindet hinter den Apparaturen, ist immer nur in dem Sinne Referenzpunkt, als sie die Kamera hält und auf den Auslöser drückt. Man könnte aber auch sagen: Sie ist mit ihrem Medium verschmolzen, als eigenständiger Körper ohne ihre Kamera nicht darstellbar.

Kehren wir nochmals zu der Vorstellung zurück, im traditionellen Bildrepertoire sei die Frau ein für einen fremden Blick hergerichtetes Bildobjekt, dann entdecken wir eine weitere Brechung in den Aufnahmen, die eine Photographin von sich erstellt. Indem sie nämlich den eigenen Körper nicht nur als leibliche Stütze und Auslöser des Photos, sondern auch explizit als die abgebildete Gestalt einsetzt, wird sie im doppelten Sinne zum Medium ihrer Kunst. Das Photo als Bildmedium und die Photographin als leibliches Medium sind von gleichem Wesen. Seine Bedeutung bezieht das Photo aus der Tatsache, daß es sowohl auf die Frau, die es konzipiert und hergestellt hat, verweist, wie auch darauf, daß die Photographin mit diesem Bild nicht nur ihre eigene Artdes Sehens, sondern auch sich selbst als tatsächlich existenten Körper dem Publikum anbieten und vorführen will. Diane Arbus greift diese besondere weibliche Problematik, daß nämlich die Photographin im Selbstportrait sowohl als betrachtendes Subjekt wie auch als Objekt der Betrachtung dargestellt ist, auf, wenn sie die narzistische Freude am eigenen Spiegelbild mit der exhibitionistischen Hingabe des weiblichen Körpers an einen fremden Blick verschränkt. Sie bedient sich der traditionellen Bildsprache, der zufolge die Frau einem imaginierten Betrachter gefallen und ihm schmeicheln soll, und unterminiert sie gleichzeitig, indem sie selbst die Position der genußvoll Betrachtenden einnimmt. Um ihre Arbeit als Photographin, die in diesem Selbstportrait verhandelt wird, möglichst tief auszuloten, nimmt Diane Arbus beim Akt des Bilderzeugens gleich drei Positionen ein: die der Betrachtenden, die der Betrachteten und die der genußvoll sich selbst Genießenden. Da sich die Kamera auf gleicher Höhe mit den entblößten Brüsten befindet, stellt sich zwangsläufig eine Analogie zwischen dem Aufnahmegerät und dem aufgenommenen Körper ein, die deutlich signalisiert, daß die Frau die Komposition des Bildes selbst steuert. Hinzu kommt, daß der Spiegel den Bildrahmen nicht ganz ausfüllt, daß also innerhalb desPhotos auf einen Raum jenseits der Widerspiegelung verwiesen wird, wodurch die Selbstbemächtigung, die Diane Arbus mit diesem Selbstportrait vornimmt, eine weitere Bedeutungsebene gewinnt. Mit ein und derselben Geste behauptet sie nämlich: Die Photographin kann sich nur unter Bezugnahme auf das traditionelle Bildrepertoire der weiblichen Gestalt dar- stellen. Außerhalb dieses Bildrepertoires hat sie zumindest als Abbild keinen Platz. Alle Die Verschränkung von narzistischem Blick auf das eigene Spiegelbild und traditionellem weiblichen Akt trägt außerdem dazu bei, die Grenzen zwischen Identifikation und Begehren zu verwischen. Will die Photographin mit der Analogisierung von entblößten Brüsten und Kamera ihren erotischen Genuss des eigenen Selbstbildes zum Ausdruck bringen? Oder schreibt sie ihrer Tätigkeit als Photographin und damit dem Erzeugen von Bildern eine erotische Kraft zu? Spiegelbild und Selbstportrait fallen hier zusammen - heißt das, daß Diane Arbus sich mit dem eigenen Blick identifiziert, der durch die Einrahmung des Spiegels einen eindeutigen Platz außer- halb der gängigen Zirkulation von Weiblichkeitsbildern hat? Oder identifiziert sie sich mit einem fremden Blick auf den weiblichen Körper, der mit dem Verweis auf das traditionelle Bildrepertoire impliziert ist? Wird hier eine lustvolle Selbstliebe inszeniert - das eine Bein des Stativs ist sichtlich zwischen die Beine der Photographin platziert -, und spricht sie sich damit eine phallische Macht zu? Oder wird hier angedeutet, daß der Blick auf die eigene Gestalt, der diese zum Bild macht, immer etwas Fremdes sogar in die Selbstwahrnehmung einführt? Entdeckt die Photographin mit dieser Inszenierung auch das Fremde im eigenen Selbst?

Andere Möglichkeiten, das traditionelle, männlich bestimmte Bildrepertoire aufzubrechen, bietet die Inszenierung des Selbst als Maskerade. Zur selben Zeit, als Claude Cahun oder Madame Yevonde sich gerne als maskierte oder kostümierte Phantasiegestalten darstellten, veröffentlichte die britische Psychoanalytikerin Joan Rivière in einem Aufsatz mit dem Titel »Weiblichkeit als Maskerade« [1929] folgende These: Professionell erfolgreiche Frauen kleiden sich gerne ultraweiblich, um die Ängste ihrer männlichen Kollegen abzuwehren. Joan Riviere sah in dieser öffentlich zur Schau getragenen Weiblichkeit ein Verhüllen oder Maskieren der männlichen Attribute erfolgreicher Frauen. Doch diese Selbstverstellung konnte nur deshalb funktionieren, weil attraktive Kleidung als Zeichen natürlicher Weiblichkeit verstanden wurde. Bezeichnend für Joan Rivières These - überträgt man sie auf Photographinnen, die sich in der von Männern dominierten Kunstwelt durchsetzen wollten- ist die Behauptung, daß es keine inhärent natürliche Weiblichkeit gebe. Weibliche Identität sei vielmehr eine gesellschaftliche Konstruktion, die die Frau von ihrem Selbstverständnis, ihrem Begehren und ihren Ambitionen entfremde, gleichzeitig aber auch Spielraum für den entstellten Selbstausdruck biete: eine Selbstinszenierung, die dadurch aufrechterhalten wird, daß Stereotypen geschlechtsspezifischer Kleidung, Gestik und Körperhaltung immer wieder aufgegriffen und kulturell in Umlaufgesetzt werden. Eben dieser Gedanke, Weiblichkeit sei eine Verstellung, eine Verhüllung, eine Maskerade, wird für die Photographinnen der 20er und 30erJahre zum Ausgangspunkt ihrer Demontage des traditionellen Selbstportraits. Sie machen- wie später Cindy Sherman- den eigenen Körper zum Medium der Botschaft, daß nicht nur ihre Weiblichkeit, sondern auch ihre Identität als Photographin nur alsMaskierung wiedergegeben werden kann. Das Selbst verbirgt sich immer hinter einem schillernden Spiel von Masken, wenn es um den öffentlichen Blick geht. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob diese Kostümierung eine Distanz zum Selbst oder zu den kulturellen Kodes bedeutet, die dieses Selbst immer mitdefinieren. Wenn Photographinnen wie Claude Cahun oder Madame Yevonde sich als Protagonistinnen von Phantasieszenen darstellen, läßt sich ferner fragen, ob die Maskierung als Einschränkung wahrgenommen werden soll, d.h. als Beleg dafür, daß die Frau sich immer eine Rolle zulegen, sich immer inszenieren muß, um wahrgenommen zu werden, dabei aber partiell unerkannt bleibt? Oder weisen die Maskierungen darauf hin, daß gerade in der Selbststilisierung eine kreative Kraft liegt? Das Ausloten der verschiedenen Ichs, die das Selbst aus- machen, wird beispielsweise von Claude Cahun in einem Selbstportrait als doppelte Anwesenheit im Bild inszeniert. Andererseits kann auch der Entzug des direkten Anblicks bedeuten, daß die Selbstentwürfe, die sie von sich gestalten könnte, stehen unter der Schirmherrschaft bereits existenter kultureller Bilder, die das Weibliche definieren. Dennoch verweist der Umstand, daß sich ihr Selbstportrait ausdrücklich als Abbild einer Widerspiegelung zu erkennen gibt, da ja auch der Rahmen des Spiegels im Bild sichtbar ist, darauf, daß es etwas jenseits des Bildes gibt. Die reale Präsenz der Frau entzieht sich zwar der Abbildung, wird gleichzeitig aber sowohl als Urszene wie auch als Referenzpunkt des Selbstportraits vorausgesetzt. Photographin Fremdheiten im eigenen Ich sichtbar machen will. Wie bei Diane Arbus, die sich für ihr Selbstportrait die Konvention des weiblichen Aktes aneignet, kann man sich auch hier fragen, ob die Maskierung eine für den fremden Blick intendierte Inszenierung ist, die auf die Entfremdung der Photographin verweist, oder ob die Photographin sich narzistisch selbst betrachtet und genießt? Wenn sich Claude Cahun in ein Schrankfach zwängt und damit visuell eine Analogie zu den anderen Gegenständen, die dort aufbewahrt werden, herstellt, handelt es sich zweifellos um eine parodistische Geste, die ironisch veranschaulicht, daß Frauen sich zwar für einen fremdbestimmten Blick herrichten, dies jedoch durchaus selbstbewußt tun. Gerade weil Frauen unter dem Druck leben, für andere etwas anderes darzustellen, als sie sind, fällt es ihnen vielleicht leichter, die damit einhergehende Verdinglichung des Ichs spielerisch zu inszenieren, das traditionelle Verständnis, das die Frau dem Bild gleichsetzt, aufzugreifen, um es zu unterlaufen.

Vor dem Hintergrund dieser Problematik erscheint auch Lee Millers Selbstportrait wie eine kritische Auseinandersetzung mit der Behauptung, Weiblichkeit sei eine Maskerade. Sie hat sich zum glamourösen Bildkörper stilisiert, die Körperhaltung und die Beleuchtung der Starphotographie ihrer Zeit imitierend. Doch das Wissen, daß wir ein Selbstportrait einer Photographin vor uns haben, läßt in dem Bild eine Geste der Parodie erkennen:Sie ist nicht das passive Objekt eines fremden Blickes, dem sie sich hingibt; sie hat die ultraweibliche Garderobe selbst ausgewählt, die Pose des Glamour-Shot für sich selbstentworfen. Sie verkörpert die Erwartungen, die die Vorstellung ihrer Zeit von weiblicher Schönheit diktieren, und macht gleichzeitig sichtbar, daß weibliche Schönheit eine Konstruktion ist. Wenn die Frau im konventionellen Bildrepertoire, auf das sich die Photographin bei einem Selbstportrait notwendigerweise beziehen muß, immer mit einem Bild gleichgesetzt wird, stellt sich die Frage, wie sie sich dem Verschwinden des Selbst im Bild verweigern kann. Die in diesem Band gesammelten Photographien erlauben mögliche Antworten: Indem sie sich explizit zum Glamour-Bild macht wie Lee Miller; indem sie sich als Gebrauchsgegenstand darstellt wie Claude Cahun; aber auch, indem sie gerade die Umkehrung des einheitlichen, intakten Bildes inszeniert, dasSelbstbild als aufgebrochene Widerspiegelung. In ihrem Selbstportrait ist Hannah Höch nicht nur wie die als Clown verkleidete Claude Cahun doppelt zu sehen - diese Doppelung wird auch bewußt als Brechung dargestellt. Die vordere Gestalt wirkt nämlich wie eine gespenstische Überlagerung der anderen. Zudem geht durch das gesamte Photo ein Riß, der bezeichnenderweise in beiden Fällen das Gesicht von Hannah Höch in zwei Hälften schneidet - statt der intakten Gestalt der Photographin nur Bruchstücke eines Selbst. Auch Dora Maar greift die Vorstellung der Selbstentstellung auf, bricht eine Aufnahme ihres Profils in Stücke und verherrlicht sich damit gerade als zersplittertes Ich. Verweigert man ein einheitliches Bild des Selbst, um zu vermeiden, die Maskerade als eigentliches Wesen zu deklarieren, dann bringt die Feier der brüchigen Selbstbilder jene Wahrheit des Selbst indirekt zum Ausdruck, die sich dem intakten Bild entzieht: daß nämlich das Selbstimmer ein gespaltenes ist, zwischen bewußten und unbewußten Prozessen ebenso pendelnd wie zwischen der Suche nach authentischen Bildern des Ichs und den Konventionen der Bildsprache, die uns in unserem Selbstverständnis prägen, damit aber gleichzeitig auch Fremdheit in die Selbstwahrnehmung einführen. Doch noch in einem weiteren Sinn ist jedes Selbstportrait von Brüchigkeit gezeichnet.

Hier stellt sich nämlich die von Roland Barthes postulierte Referentialität des Photos mit ganz eigener Prägnanz. Indem eine Photographin sich selbst abbildet, dokumentiert sie nicht nur, daß es sie tatsächlich gibt, sie dokumentiert auch, daß es sie gegeben haben wird. Das klassische Portrait, das den abgebildeten Menschen gleichsam verdoppelte, galt in der Malerei wie im Volksmund nicht nur als Zeichen der Unsterblichkeit der Seele, es wurde auch als unheimlicher Vorbote des Todes begriffen, was sich auch auf die Photographie übertragen läßt. Nicht von ungefähr versteht Roland Barthes sie als Arbeit am Tod. Photographien berühren, weil sie uns die Vergangenheit als gewesene Realität vor Augen führen und immer wieder klarmachen, daß unsere Gegenwart mit jedem Augenblick zurVergangenheit wird. Die gegenseitige Bedingtheit von Leben und Tod wird für Roland Barthes bei jeder Photositzung durch den Druck auf den Auslöser von neuem durchgespielt: durch eine winzige Bewegung, die das Modell von seinem Abbild trennt und es damit als Bild unsterblich werden läßt, die gleichzeitig aber auch sein tatsächliches Sterben vorwegnimmt. Denn die letzte Konsequenz jener Veränderung, die zwischen dem Augenblick der Aufnahme und der Entwicklung des Photos stattfindet, ist die unaufhaltsame Bewegung des Menschen auf seinen eigenen Tod hin. Im fertigen Photo wird laut Roland Barthes die Absolutheit der Vergangenheit sichtbar, und das bedeutet, zumindest implizit:der noch in der Zukunft liegendeTod. Obwohl die Wirkungskraft der Photographie gerade von der Illusion zehrt, die abgebildete Gestalt sei - weil sie echt wirkt - lebendig, belegt die Realitätstreue der Photographie zugleich das Gegenteil. Die dargestellte Person könnte, da ihr Portrait eine Situation wieder- gibt, die in der Vergangenheit liegt, im Augenblick, in dem wir sie betrachten, bereits tot sein.

Meret Oppenheim greift die tödliche Prägung, die jede Photographie in sich trägt, spielerisch in dem Röntgenbild ihres Schädels auf. Gerade weil das Selbstportrait einen eigenständigen Persönlichkeitskern der Photographin zum Ausdruck zu bringen versucht - egal ob die idealisierende Selbstspiegelung, die Doppelung, Maskerade oder Entstellung als Ausdrucksmittel gewählt wird ,-geht es darum, eine Essenz der dargestellten Frau ins Bild zu rücken. Auch deshalb kann die Photographie als Arbeit am Tod verstanden werden, denn dieser essentielle Kern betrifft immer auch die materielle Faktizität, die unter der Oberfläche liegt und die wieder zum Vorschein kommen wird, wenn alle Kleidung und alle angenommenen Masken bis auf die Knochen abgefallen sind. Wenn Meret Oppenheim uns eine Aufnahme ihres Skeletts als Selbstportrait anbietet, bringt sie den Tod, der sie unweigerlich einholen wird, bewußt mit ins Bild. Sie setzt das Abbilden ihrer Besonderheit mit der Entdeckung jenes Zustands gleich, der jeden auf eine ganz eigene Art trifft und dennoch der gemeinsameNenner aller ist: unsere unumgängliche Sterblickeit. Auch das ist natürlich eine ironische Geste. Der Knochenbau hat keine erkennbare Referentialität zur Photographin, läßt sich nur mit Hilfe des Titels als Selbstportrait lesen. Oder anders: Dringt man bis ins Innerste der körperlichen Gestalt vor, findet man nichts als deren Knochen. während sich die essentielle Wahrheit der Portraitierten dem Abbild entzieht. Doch gerade weil sich Meret Oppenheim in diesem Selbstportrait auf ihre Knochen reduziert und als individuell erkennbare Gestalt aus dem Bild verschwunden ist, trifft sie einen authentischen Kern. Wir nehmen das, was ihren essentiellen Kern ausmacht, als visuelle Spur wahr: am Umriß des Schädels, im Abdruck ihres Ohrrings oder der Ringe an den skelettierten Fingern: als Blick aufdas Selbst, der dem abgebildeten Körper und dem Bild überhaupt erst ihre Vitalität verleiht.


Freia: Model außer Dienst - In der Badewanne, einfach nur erschöpft und glücklich im warmen Wasser zu sitzen.

Mit dem Schlüssel namens Fotografie durch eine Tür namens Ich

(Die Neugier nach der Identität - Blogbeitrag von Renée Nesca von ihrer Webseite)


Renée Nesca ist eine Rolle, hinter der sich die tatsächliche Schauspielerin (ich) versteckt. Es ist eine fiktive Figur in der Kunstszene, die durch meinen Antrieb gezeichnet und in Szene gesetzt wird. Diese Maske verkörpert mein persönliches Ideal. Befreit von der Erwartung zur Authentizität, hilft sie mir, mich selbst zu verwirklichen.

Diese zweite Identität ist als einen Teil von mir zu betrachten, den ich selbst als repräsentativ bewerte. Die Entscheidung, was also der Außenwelt zugänglich gemacht wird, obliegt meinem eigenen Willen. Warum dazu ein Pseudonym notwendig ist? Als ich mit der Fotografie in Berührung kam, war mir, als ob ein unbeschriebenes Blatt nötig wäre, das eine Art Neuanfang darstellt.

Ich mochte die negativen Anhaftungen nicht, die an meinem bürgerlichen Namen klebten und beschloss, ein neues Ich zu manifestieren. Es war wie eine Selbstgeburt, bei der mir als Schöpferin alle Freiheiten offen standen und über deren Kontrolle ich als alleinige Urheberin frei verfügen konnte.


Die Tatsächlichkeit als Alternative

Die Fotografie bietet fast unendlich viel Spielraum für allerhand Auseinandersetzungen mit der sogenannten Realität. Im Grunde bedeutet sie für mich aber eine Einschränkung, oder besser gesagt eine Beschränkung auf etwas allgemein Zugängliches. Denn man kann schließlich nur Dinge fotografieren, die bereits existieren – zumindest oberflächlich betrachtet.

Vorher galt meine Leidenschaft der Zeichnung, die jedoch im Laufe meines Kommunikationsdesignstudiums nach und nach abstarb. Teilweise aus der Konfrontation mit dahingehend fähigeren Mitstudierenden heraus, aber auch aufgrund eines unerreichbar hohen Anspruchs an mein eigenes Ergebnis, verlor ich die Lust am Zeichnen. Frustration und Selbstzweifel waren die Folge.

Irgendwann öffnete sich jedoch die Tür zur Fotografie, durch die ich zuerst nur als Fotomodell ging. Die wiederum studienbezogene Aufgabe, Portraitfotografien herzustellen, brachte mich dann letztendlich aber doch in die Perspektive als Künstlerin hinter der Kamera. So lernte ich, mich auf das tatsächlich Vorhandene zu konzentrieren, während mich die Zeichnung in ihren unerschöpflichen Möglichkeiten regelrecht überforderte.


Die Inszenierung von Gedanken

Die sichtbare und allseits durchgekaute Realität langweilt mich. Deshalb fotografiere ich selten dokumentarisch. Mein Interesse gilt dem „Dahinter“. Metaphysisches und Spiritualität in ihrer Gesamtheit bilden den Kern meiner künstlerischen Fragestellung.

Deshalb ist es mir ein inneres Bestreben, auch in der Fotografie derartige Themen anzuschneiden. Das gelingt mir nur, wenn ich mich als Gestalterin, nicht nur als Beobachterin, wahrnehme. Insofern treten meine Gedanken in Form von inszenierten (Selbst-)Portraits in Kontakt mit der betrachtenden Person.

Eine wiederkehrende Motivation, mich künstlerisch und insbesondere portraitfotografisch auszudrücken, ist die menschliche Psyche. Konkret meine persönlichen Erfahrungen, Empfindungen und Erkenntnisse veranlassen mich dazu, eine visuelle Übersetzung derer zu entwickeln. Nicht zuletzt fordere ich dadurch meine Mitmenschen bewusst zur Selbstreflexion auf.


Die Lücke in der Logik

Allgemein bin ich im künstlerischen Kontext der Ansicht, dass die gewählte Technik nur Mittel zum Zweck ist. Die Seele eines Bildes kommt, im Falle der Fotografie, nicht durch die Kamera, den Film oder die Nachbearbeitung zu Stande. Im Wesentlichen ist es ein tieferer Sinn, den ich meinen Fotografien beimesse, der mich von der Idee über die Umsetzung bis hin zum Ergebnis begleitet und den es sichtbar zu machen gilt. Diese Sinnhaftigkeit stellt für mich den Maßstab an Qualität dar.

Mich reizt nicht das Offensichtliche, sondern das Geheimnis. Einerseits nutze ich die Fotografie als Forschungsinstrument für Studien meiner Selbst. Andererseits möchte ich mit meinen Bildern offenbaren. Innere Zusammenhänge, jenseits von rational Begreifbarem, beschäftigen und faszinieren mich über die Fotografie und über jede Kunst hinaus.


Linda - Die Augen erzählen eine Geschichte. Vorerst kennen nur wir beide den Inhalt, den Ausgang kennt noch niemand.

Aus dem Ausstellungskatalog "Francesca Woodman"

Werke aus der Sammlung Verbund - von Gabriele Schor



Seit der Renaissance gilt das Selbstporträt als privilegierte Ausdrucksform der Malerei. Es bietet der Künstlerin die Möglichkeit, ihre Individualität im Bild zu erfassen und zugleich die Vorstellung zu bestimmen, die ihr Publikum von ihr hat. Im Verlauf des 19. Jahrhun- derts erfuhr diese Gattung dank des neuen Mediums der Fotografie eine grundlegende Erweiterung.

Auf die Frage ihrer Freundin Sloan Rankin, warum sie so oft die Kleider ausgezogen und sich zum Gegenstand ihrer eigenen Fotogra- fien gemacht habe, hat Francesca Woodman lakonisch geantwortet: „Es ist eine Frage der Bequemlichkeit. Ich bin immer verfügbar.“

In ihrer Fotografie Self portrait talking to vince rückt der Gesichts- ausdruck in den Vordergrund. Die Arbeit zeigt die Künstlerin mit dem Hinterkopf zur Wand, die Spirale im Mund ersetzt die Worte eines Gesprächs, an dem sie zu würgen scheint. Zugleich hat die Insze- nierung ihrer Wortlosigkeit einen aggressiven Zug, steht doch die bedrohlich dunkle Öffnung ihres Mundes für jene aufgestaute Wut, die nur als Gesichtsbewegung zum Ausdruck kommen kann.

Die Glasspirale wurde von Benjamin Moore, dem Freund Francesca Woodmans gefertigt.


Bewusst gestaltet Francesca Woodman in einem weiteren Selbstporträt ihre Erscheinung als Bild im Bild. Hier öffnet sie mit der rech- ten Hand die obere Klappe einer Falltüre, während ihr Unterkörper verdeckt bleibt. Lediglich ein Zipfel ihres Rockes ist in der dunklen Ritze der unteren Türspalte zu sehen. Die linke Hand ragt zwar darü- ber hervor, scheint zugleich aber von der stehenden Figur abgeschnit- ten. Von weißem Licht umgeben, wirkt Francesca Woodmans Selbst- bildnis, als wäre es auf die obere Hälfte des Türrahmens montiert. Visuell abgesetzt von dem Raum, in den sie scheinbar eintreten will, wirkt sie wie ein eigenständiger, von seinem Umfeld losgelöster Bild- körper. Zugleich wird nochmals deutlich, wie sie über ihre Gestalt im Selbstbildnis verfügt.

Es könnte auch sein, dass die abgebildete Figur gar nicht das Zimmer betreten wird, sondern im Begriff ist, die obere Türklappe vor sich zu- zuziehen, sich dem Blick zu entziehen. Die von Licht umspielte ruhige Attitüde dieses Porträts könnte auch als Selbstentrückung verstan- den werden: als flüchtige Erscheinung auf der Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.



Sylvia

Sandra


Lena - weint sie oder lacht sie? Oder lacht sie das Weinen weg?


Carina


WeiWei




Ein kleines Projekt


Ich mache Selbstportraits von Menschen, die das zulassen...

Die nachfolgenden drei Begriffe gebe ich vor - mehr nicht.

Authentizität

Identifikation

Präsentation

Hanna - und die ersten spannenden Erkenntnisse


Zwischen den authentischen Bildern aus dem Park, die beim Spazieren und Quatschen entstanden sind und den Portraits in der Mitte, die Hanna so zeigen wie sie sich am wohlsten fühlt, gibt es kaum Unterschiede. Das finde ich sehr erstaunlich und werde beobachten, ob das das bei weiteren Shootings zum Projekt wieder so eintritt. Muss es zwingend Differenzen zwischen authentischen Bilder und solchen mit denen man sich identifiziert geben? Oder spricht es sogar für die Person, wenn es da keine Unterschiede gibt? Die Präsentationsbilder kommentiere ich an dieser Stelle noch nicht. Hanna wird (hoffentlich) eine Erläuterung liefern. Aber sie sprechen auch ohne Erläuterung schon eine deutliche Sprache.


"Wo würdest Du stehen, wenn Du einen großen Raum wie dieses Studio betrittst?" - "Eher am Rand, da steht man nicht im Mittelpunkt und hat einen guten Überblick."