Der Satz „sich wegfotografieren lassen“, wenn er von einem Fotomodell geäußert wird, kann mehrere Bedeutungen oder Konnotationen haben, die über den rein wörtlichen Sinn hinausgehen. Die Formulierung ist nicht standardsprachlich und hat deshalb Raum für Interpretation, was sie für die Bildtheorie, Medienästhetik oder auch kulturwissenschaftliche Betrachtungen interessant macht.



1. Interpretationsebenen


a) Auflösung des Selbst ins Bild

"Sich wegfotografieren lassen“ könnte andeuten, dass das Modell sich im Akt des Fotografiertwerdens selbst aufgibt oder verliert – eine Art Entkörperlichung oder Entsubjektivierung im Bild. Das Ich verschwindet im Bild, wird zur Oberfläche, zur Projektion.


b) Passivität / Objektstatus

Der Ausdruck kann eine Haltung des Ausgeliefertseins oder der Passivität beschreiben: Das Modell wird nicht aktiv dargestellt, sondern lässt etwas mit sich geschehen – eine Art Objektivierung, wie sie etwa in feministischer Bildkritik thematisiert wird.


c) Flucht / Transformation

Der Begriff „weg“ kann auch eine Art Fluchtbewegung oder Verwandlung andeuten. Vielleicht will sich das Modell von etwas entfernen – vom Alltag, vom Ich, von der Realität – durch den Akt der Fotografie.



2. Theoretische und literarische Anknüpfungspunkte


a) Roland Barthes – Die helle Kammer

Barthes spricht vom „Tod“ des Subjekts in der Fotografie, der Moment, in dem das Subjekt zur reinen Oberfläche wird. Die Idee, sich wegfotografieren zu lassen, passt zu dieser Vorstellung:

„Das Foto ist das, was gewesen ist.“ – Das Modell wird zu einem Objekt der Vergangenheit.


b) Susan Sontag – Über Fotografie

Sontag analysiert, wie Fotografie Menschen objektiviert, ihnen Kontrolle entreißt, sie in eine konsumierbare Form bringt. „Sich wegfotografieren lassen“ könnte so auch eine Kritik am Verlust von Kontrolle oder der Zurschaustellung des Selbst meinen.


c) Vilém Flusser – Für eine Philosophie der Fotografie

Flusser diskutiert das Fotografieren als technisches Programm, in dem sowohl Fotograf als auch Modell Funktionen im Apparat werden. „Wegfotografieren lassen“ wäre dann ein Ausdruck dafür, sich ganz diesem Apparat zu unterwerfen.


d) Judith Butler – Körper von Gewicht

In der Gender-Theorie wäre die Aussage interessant in Bezug auf die Performativität von Geschlecht: Das Modell lässt sich „wegfotografieren“, um in einer Rolle zu erscheinen – und verschwindet als „echte“ Person.



3. Künstlerische/ästhetische Kontexte

• In der Kunstfotografie oder Modefotografie kann dieser Ausdruck ein Hinweis darauf sein, dass das Modell nicht mehr es selbst ist, sondern ganz BildPoseÄsthetik – eine Art Selbstauflösung im Dienst des Bildes.



4. Weitere Quellen (Auswahl):

• Barthes, Roland: Die helle Kammer: Bemerkung zur Photographie.

• Sontag, Susan: Über Fotografie.

• Flusser, Vilém: Für eine Philosophie der Fotografie.

• Butler, Judith: Körper von Gewicht.

• Azoulay, Ariella: The Civil Contract of Photography – zur Beziehung zwischen Fotograf und Fotografiertem.



1. Literarische Miniatur (freie Szene / Skizze)


„Ich hab mich einfach wegfotografieren lassen“, sagt sie, halb lachend, halb müde.

Der Blitz sitzt noch in ihren Augen, aber sie ist schon nicht mehr hier. Ihre Schultern wie ausgeliehen, der Blick schwebt irgendwo hinter der Kamera. Kein Widerstand, keine Pose – nur Haut und Licht, ein stilles Einverständnis.

Später wird sie sich auf dem Foto kaum wiedererkennen. Vielleicht ein bisschen schöner, ein bisschen leerer.

Und vielleicht ist das genau das, was sie wollte: kurz verschwinden, sich verflüchtigen ins Bild.“



2. Theoretischer Denkansatz (als Impuls für Essay oder Analyse)


„Sich wegfotografieren lassen“ ist ein poetischer Ausdruck für ein Paradox: Das Subjekt tritt auf, um zu verschwinden. Es zeigt sich – mit der Absicht, sich aufzulösen. In der Pose wird es Oberfläche, in der Kamera wird es Fixpunkt und flüchtiger Moment zugleich. Der Satz enthält die stille Frage: Wer bleibt übrig, wenn das Bild bleibt?


In dieser Formulierung steckt eine subtile Kritik an der Repräsentation selbst – als würde das Modell sich freiwillig der Bildlogik unterwerfen, im Wissen darum, dass das, was bleibt, nie ganz das ist, was man war.


Sich wegfotografieren lassen

Ein Versuch über das Verschwinden im Bild

„Mach mit mir, was du willst“, sagte sie leise, „aber tu so, als wär ich gar nicht mehr da.“


1 Die Pose als Grenze


Ein Körper steht vor der Kamera. Er richtet sich nicht auf, er drängt sich nicht auf – er lässt zu. Die Pose ist kein Ausdruck mehr, sondern ein Einverständnis. Eine stille Zustimmung zur eigenen Auflösung. Sich wegfotografieren lassen – das ist nicht einfach nur Stillhalten. Es ist das bewusste Verschwinden ins Bild.


Roland Barthes schrieb, das Foto sei der Ort, an dem der fotografierte Mensch „schon gestorben“ ist – weil das Bild immer zeigt, was gewesen ist. Aber hier geht es um mehr: nicht nur die Abbildung eines Vergangenen, sondern die Entscheidung, sich selbst zum Bild zu machen. Sich nicht mehr zu spüren. Sich zur Oberfläche zu machen, zu einer Haut aus Licht.


2 Subjekt als Objekt


Fotografiert zu werden bedeutet, zur Betrachtung freigegeben zu sein. Susan Sontag warnte vor der Gewalt des Fotografierenden – der Akt, jemanden zu fotografieren, sei eine Form des Aneignens.


Doch sich wegfotografieren lassen ist keine Gewalt von außen. Es ist ein Einverständnis. Vielleicht ein resigniertes. Vielleicht ein genussvolles. Der Körper wird zur Leinwand, das Gesicht zur Projektion. Und das Subjekt? Ist irgendwo anders.


Vielleicht in der Kamera selbst.



3 Bild als Zuflucht


Sie sagte: „Ich will mal kurz nicht ich sein.“ Und dann schaute sie in die Kamera, als würde sie durch sie hindurchsehen. Der Klick war fast wie ein Versprechen.


Die Fotografie ist auch eine Flucht. Eine Tür, durch die man geht – und für einen Moment zurückbleibt. Wer sich wegfotografieren lässt, sucht vielleicht diesen Zwischenraum: Nicht mehr ganz hier, noch nicht ganz dort. Wie ein Schatten, der sich vom Körper löst.



4 Techniken des Verschwindens


Vilém Flusser spricht vom Fotografen als „Funktionär des Apparats“. Aber was ist mit dem Modell? Es ist nicht weniger funktional – es ist Material, Oberfläche, Zeichen.


In der Modefotografie wird das Modell zur ästhetischen Figur – nichts Persönliches, nichts Bleibendes. Der Mensch dahinter muss verschwinden, damit das Bild funktionieren kann. Wegfotografiert zu werden ist dann fast eine Technik: Sich entziehen, sich anbieten, sich leeren.



5 Wer bleibt übrig?


Auf dem Foto sieht sie sich selbst. Aber es ist nicht sie. Es ist eine Version, ein Abzug, eine Idee. Und trotzdem: irgendetwas von ihr ist darin gefangen. Wie Licht auf Film. Wie ein Blick, den man nicht zurückholen kann.


Wer sich wegfotografieren lässt, verschwindet nicht spurlos. Das Bild bleibt. Vielleicht schöner, vielleicht kälter. Vielleicht auf eine Weise wahr, die im Moment selbst nicht fühlbar war. Vielleicht ist das der Reiz: Das eigene Ich im Bild sehen, wie durch ein fremdes Auge. Und für einen Moment glauben: So könnte ich auch sein.



Kleine Bildideen


Tauchen wir ein in kleine, alltägliche Szenen, die auf den ersten Blick unscheinbar sind, aber beim zweiten Hinsehen eine seltsame, fast traumartige Leere oder Schwebung haben. Sie sollen diesen Zustand des „Wegfotografiert-Seins“ transportieren: Präsenz und Abwesenheit zugleich.



1. Fensterlicht, 08:47

Szene: Eine Frau sitzt an einem Küchentisch. Der Tisch ist leer bis auf ein halb gegessenes Marmeladenbrot. Die Kamera steht leicht seitlich, das Fenster hinter ihr. Draußen zieht ein Bus vorbei. Sie schaut nicht in die Kamera, sondern ins Leere – als hätte sie gerade jemanden verabschiedet.


Bildidee: Das Licht ist weich, fast verwaschen. Der Fokus liegt auf ihrem Gesicht, aber ihre Konturen beginnen fast im Licht zu verschwinden. Der Hintergrund bleibt leicht unscharf, als sei er nicht mehr wichtig.


Gedanke: „Ich wollte nur kurz nicht da sein.“



2. Aufzug, Neonlicht

Szene: Ein junges Modell steht allein in einem gläsernen Aufzug, der durch ein Parkhaus fährt. Die Kamera ist von außen, als würde jemand sie beobachten. Sie trägt Alltagskleidung, steht still, fast zu still.


Bildidee: Der Bildausschnitt ist wie ein Überwachungskamera-Frame. Kalt, entpersönlicht, isolierend. Ihre Augen treffen kurz die Kamera – nicht fordernd, sondern gleichgültig.


Gedanke: „Ich hab mich in der Bewegung nicht bewegt.“



3. Wohnzimmer mit Plastikplane

Szene: In einem Wohnzimmer liegt eine transparente Plastikplane über dem Sofa. Darauf sitzt sie – oder eine Silhouette von ihr – regungslos. Alles wirkt wie in Vorbereitung, wie vor dem Umbau, oder vor dem Verschwinden.


Bildidee: Das Licht ist klinisch, künstlich, fast OP-haft. Der Mensch wird Teil des Raums, nicht dessen Zentrum. Die Plastikplane reflektiert das Licht wie Wasser.


Gedanke: „Ich hab mich hingelegt wie ein Gedanke, den man nicht zu Ende denkt.“



4. Flur, 06:12 Uhr

Szene: Eine junge Frau steht im Flur ihrer Wohnung, noch im Schlafanzug, eine Socke an, die andere fehlt. Die Wohnung ist still. Sie hält den Türrahmen fest – nicht fest, eher beiläufig. Die Haustür ist offen, aber niemand kommt oder geht.


Bildidee: Weiches, frühmorgendliches Streiflicht durch den Türspalt. Der Fokus liegt nicht ganz auf ihr – der unscharfe Rand des Gesichts wirkt wie ein Bildfehler. Etwas ist abwesend, obwohl alles sichtbar ist.


Gedanke: „Ich habe aufgemacht, aber niemanden erwartet.“



5. Umkleidekabine, Kaufhaus

Szene: Sie sitzt in einer Umkleide auf dem kleinen gepolsterten Hocker. Die Kleidung liegt achtlos auf dem Boden. Der Spiegel zeigt sie mehrfach – leicht versetzt, jede Version von ihr ein bisschen anders. Sie schaut nicht in den Spiegel.


Bildidee: Kühle Lichtspots, mehrere Spiegelungen, aber keine direkte Spiegelung zeigt ihr Gesicht ganz. Man sieht sie, aber sie entzieht sich.


Gedanke: „Ich habe mich ausgezogen, aber nichts abgelegt.“



6. Straßenbahn, leer, mittags

Szene: Sie sitzt allein in einer fast leeren Straßenbahn. Draußen zieht die Stadt vorbei – verschwommen. Ihre Hand hält ein Foto, aber das Bild ist unscharf. Sie schaut daran vorbei. Kein Handy, kein Buch, kein Ziel.


Bildidee: Tageslicht flimmert durch das Fenster. Die Kamera ist leicht versetzt von ihr, wie zufällig. Alles bewegt sich, aber sie nicht. Der Blick ist offen, aber ohne Adressat.


Gedanke: „Ich bin losgefahren, ohne mitzunehmen, dass ich es bin.“


Storyboard



1. Titel und thematische Klammer: „Abwesenheiten“


Ein übergeordneter Titel wie „Abwesenheiten“„Kurz nicht ich“ oder „Wo ich war, als ich nicht da war“könnte die Szenen lose umschließen.

Jede Szene wäre ein Kapitel, ein stiller Moment, in dem jemand da ist – aber nicht ganz.

Diese Form betont das gemeinsame Gefühl der Leerstelle, ohne eine Person oder Geschichte zu fixieren.



2. Struktur als Tagesverlauf – Der Tag eines Verschwindens


Die sechs Szenen lassen sich sehr gut in einen symbolischen Tagesverlauf ordnen – nicht als realistische Chronologie, sondern als emotionale Stationen.

Beispiel:

Morgen (06:12 Uhr – Flur): Das erste Wachsein – noch nicht ganz im Körper.

Frühstück (8:47 Uhr – Küchentisch): Leere Geste, niemand da.

Nachmittag (Straßenbahn): Bewegung ohne Ziel.

Zwischenräume (Umkleidekabine): Identität durch Kleidung, Spiegel – Fragmentierung.

Dämmerung (Wohnzimmer mit Plastikplane): Zuhause, aber entkoppelt.

Abend (Aufzug): Gläserne Isolation, fast wie ein Verschwinden im Raum.


Das lässt sich in einem Fotobuch, einer Ausstellung oder einer Text-Serie poetisch verdichten.



3. Formale Verbindung: „Stillstellen“


Man könnte alle Szenen unter dem Begriff „Stillstellen“ zusammenfassen – ein Wort, das sowohl etwas Meditatives als auch eine sanfte Zwanghaftigkeit trägt.

Jede Szene zeigt eine Person im Moment des Stillstands, eingefroren, „fotografiert“, aber nicht als Porträt – eher als Zustand.


Jede Szene könnte mit einem kurzen Text (z. B. dem zugehörigen Gedanken) begleitet werden – wie Bildunterschriften, die sich nicht erklären, sondern öffnen.



4. Installativ/Filmisch gedacht: Ein Raum, sechs Räume


Wenn du es ausstellst oder filmisch denkst:

Jeder Szene ist ein eigener Raum oder Bildschirm gewidmet.

• Der Besucher/die Betrachterin wandert durch „Zustände“, nicht durch Erzählung.

• Zwischen den Räumen hängen vielleicht Spiegel, Durchsichten, Schleier.

• Die Stimmen oder Gedanken könnten als Tonspur flüstern – nicht wörtlich, sondern fast wie innere Monologe.



5. Textlich verbunden: Ein Ich in Auflösung


Wenn du die Szenen in einer schriftlichen Form zusammenfasst (z. B. Essay, Buch, Collage), könnten sie alle aus einem einzigen, vielschichtigen „Ich“ stammen:


„Ich war da. Ich erinnere mich an alle sechs Orte. Aber nicht, ob ich dabei war.“


So entsteht ein fragmentiertes Selbstporträt – keine lineare Figur, sondern ein Zustand, erzählt in sechs Spiegeln.


Arbeitstitel „Stillstellen – sechs Bilder vom Verschwinden“

(Alternativen: „Abwesenheiten“, „Kurz nicht ich“, „Da und doch nicht“)



Idee & Thema

„Stillstellen“ ist eine fotografisch-literarische Serie aus sechs Szenen des Alltags, in denen eine Person – oder ein Zustand – sichtbar ist, aber nicht ganz anwesend.

Jede Szene zeigt einen Moment, der aussieht wie das Leben, aber sich anfühlt wie Abwesenheit.

Der Begriff „sich wegfotografieren lassen“ bildet das poetische Zentrum: Das Sichtbarwerden als Verschwinden. Das Bild ersetzt das Ich.

Die Serie erforscht, wie ein Körper da sein kann, ohne sich selbst zu spüren. Wie ein Blick nicht schaut, sondern sich entzieht. Wie Räume voll von Zeichen sind – aber leer von Bedeutung. Es geht nicht um Krankheit. Nicht um Therapie. Sondern um das, was zwischen den Zuständen liegt: das Schweben, das Entgleiten, das Durchlässige.



Form & Aufbau

Sechs fotografische Szenen

Jede Szene zeigt eine Person in einem gewöhnlichen Raum (z. B. Flur, Küche, Aufzug).

Das Setting ist realistisch, aber die Atmosphäre entrückt – als wäre die Zeit für einen Moment stehen geblieben.

Zu jedem Bild ein kurzer Text

Kein erklärender Kommentar, sondern ein poetischer Gedanke, der wirkt wie ein Satz aus einem inneren Monolog.

Beispielhafte Struktur:

Titel / Ort / Uhrzeit

Foto

Text (2–3 Zeilen)

„Ich habe mich ausgezogen, aber nichts abgelegt.“

Optional: Ein Rahmentext oder Vorwort

In Form eines literarischen Essays oder poetischen Fragments, das den Begriff „sich wegfotografieren lassen“ umkreist.



Ziel & Wirkung

Die Serie will nicht erklären, sondern eine Stimmung erzeugen – eine diffuse Melancholie, ein schwebendes Gefühl, das viele kennen, aber schwer benennen können.

Wer sie betrachtet, soll nicht die dargestellte Person sehen, sondern sich selbst: in den Lücken, in der Unsicherheit, in der Bewegung zwischen den Zuständen.



Weiterer Weg

Fotografische Umsetzung:

Natürliche Lichtstimmungen, leicht körnige Texturen, ruhige Komposition. Möglichst wenig Inszenierung, eher dokumentarische Ruhe.

Textebene:

Wir können gemeinsam Textskizzen zu den sechs Szenen ausarbeiten – einzeln oder als inneren Erzählfluss.